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Besuch im Selfkant – mein 3. Stempel im Zipfelpass

Weiter im Westen geht nicht – ich stehe in der Gemeinde Selfkant genau dort, wo sie den westlichsten Punkt Deutschlands bildet. Das Wort West steht groß auf eine Metallwand geschrieben, eine rote Stange markiert zudem die Position. Die Gemeinde Selfkant ragt mit ihrer Fläche wie eine kleine Halbinsel in die Niederlande hinein. Die Gemeindegrenze zu den Niederlanden beträgt dabei rund 27 Kilometer. Mit nur etwa 6 Kilometern liegt Selfkant hingegen an den benachbarten deutschen Gemeinden.

Ich freue mich, dass ich es endlich an diesen westlichsten Zipfel Deutschlands geschafft habe. Ich hatte es schon länger vor, diesen zu besuchen, denn damit habe ich mir den dritten Stempel in meinem Zipfelpass erworben.

Zipfelpass – was ist denn das? Diese Frage höre ich immer wieder, wenn ich davon erzähle, denn das originelle Dokument ist nicht sehr bekannt. Dabei ist es eine schöne Sache: Die vier Gemeinden, die am südlichsten, östlichsten, nördlichsten und westlichsten in Deutschland liegen, haben sich zum Zipfelbund zusammengeschlossen. Neben Oberstdorf und Görlitz gehören List auf Sylt dazu und die Gemeinde Selfkant. Zu diesem Bund gibt es den Zipfelpass. Wer in einen der vier Orte reist und dort mindestens für eine Übernachtung bleibt, kann sich im dortigen Touristenbüro den Zipfelpass holen und bekommt gleich auch einen Stempel hinein als Nachweis für den Aufenthalt in dem jeweiligen Zipfelort. In Oberstdorf und Görlitz war ich bereits, nun habe ich also mit Selfkant noch einen Stempel erhalten. Auf dem Foto ist mein bislang dreifach gestempelter Zipfelpass zu sehen.

© Foto: Meike Nordmeyer

Mein Zipfelpass hat nun schon drei Stempel: den von Oberstdorf, Görlitz und Selfkant. Jetzt fehlt nur noch der Eintrag von List. Der soll auch bald folgen.

Der westlichste Punkt Deutschlands also – aber wo liegt der eigentlich? Bevor ich zur Inhaberin des Zipfelpasses wurde, habe ich es nicht genau gewusst. Irgendwo am Niederrhein, so habe ich vermutet. Das stimmt nur sehr ungefähr. Jetzt weiß ich es genauer: Der westliche Punkt befindet sich am Rand der Gemeinde Selfkant, diese wiederum gehört zum nordrhein-westfälischen Kreis Heinsberg. Selfkant liegt zwischen Rhein und Maas, 33 Kilometer südlich von Aachen und 27 Kilometer nordöstlich von Mönchengladbach. Dabei ist der Selfkant der Name der Gemeinde und zugleich die Bezeichnung der Region, bestehend aus den Gemeinden Selfkant, Gangelt und Waldfeucht.

Von meiner Heimatstadt Wuppertal aus hätte ich den Besuch im Selfkant auch als Tagesausflug unternehmen können. Die Autofahrt dorthin dauert nur eine gute Stunde. Doch eine kurze Stipvisite gilt nicht. Wer einen Zipfelstempel will, muss in dem Ort auch übernachten. So bietet mir der Ausflug also die Gelegenheit, diese Gegend einmal genauer zu erkunden. Ich fahre an einem Samstagmorgen gemeinsam mit Andrea, einer Freundin und Kollegin von mir, in den Selfkant und wir checken im Hotel Mercator in Gangelt ein. Seit sie von mir davon gehört hat, ist Andrea von dem Zipfelpass begeistert, und so nutzt sie nun die Gelegenheit mitzukommen und auch einen Pass und den ersten Stempel darin zu erhalten.

Das Vier-Sterne-Hotel Mercator ist in einem ehemaligen Schulgebäude untergebracht. An der Hauswand ist noch eine Steintafel zu finden, auf dem jener Spruch zu lesen ist, mit dem seit jeher Schüler ermahnt werden: „Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir.“ Stimmt ja auch. Und dennoch, ich hole meine Tasche aus dem Auto und freue mich, dass ich jetzt nicht in ein Klassenzimmer gehen und lateinische Texte übersetzen oder mathematische Gleichungen lösen muss, sondern stattdessen ein schönes Hotelzimmer beziehen und dann bei einer Fahrradtour den Selfkant erkunden darf.

© Foto: Meike Nordmeyer

Das Hotel Mercator in Gangelt ist in einem alten Schulgebäude untergebracht.

Am Infocenter beim Freibad Gangelt stehen Leihfahrräder für uns bereit. Andrea und ich starten am frühen Mittag unsere etwa 33 Kilometer lange Fahrradtour durch den Selfkant. Ein Radwegenetz mit durchnummerierten Orientierungspunkten, sogenannten Knotenpunkten durchzieht die Freizeit-Region Heinsberg. Das macht es uns leicht, unsere Route zu finden. „Radeln nach Zahlen“ heißt das Konzept, das gut funktioniert. Mit Schwung und Neugier legen wir los und radeln an knorrigen Kopfweiden vorbei, die sich an einem glucksenden Bach entlang aufreihen. Der Fahrradweg führt uns durch Waldstücke, dann wieder an weiten Feldern vorbei und durch kleine Ortschaften.

Unsere erste Etappe ist das Bauernmuseum in Selfkant Tüddern, das wir nach etwa 10 Kilometern erreichen. Wir stellen unsere Fahrräder vor dem tannengrünen Tor der großen Halle ab, in dem das Museum untergebracht ist. Zwei Windmühlen-Modelle, eins davon mannshoch, stehen am Eingang. In der Halle sind alte Pflüge, Mähbinder und andere Maschinen und Geräte der Landwirtschaft aufgestellt. Eine große Dampfmaschine und eine stattliche Aufreihung von alten Traktoren gehören auch dazu. Ebenso finden sich Waschkessel, Wringmaschinen und andere Gerätschaften des häuslichen Alltags.

© Foto: Meike Nordmeyer

Im Bauernmuseum in Selfkant Tüddern erzählt Alfons Krings anschaulich von der Arbeit auf dem Lande in früheren Zeiten.

Wir werden schon erwartet. Alfons Krings, ehrenamtlicher Mitarbeiter des Museums, heißt uns willkommen und fängt sofort an zu erzählen von der Arbeit auf dem Feld, bei der er schon als kleiner Junge geholfen hat. Krings nimmt eine Sense in die Hand und macht gleich die typische Bewegung vor, mit der sie zu führen ist. Er erinnert sich genau an die schwere körperliche Arbeit, die für die Landwirtschaft erforderlich war. Und er erzählt auch von der Entlastung und den neuen Arbeitsabläufen, die sich einstellten, als die ersten Maschinen eingesetzt werden konnten. Bei dem Rundgang durch die Halle weist er auf so manche Besonderheiten hin. Auf eine Waschmaschine beispielsweise, die mit einem riesigen Laufrad für einen Hund betrieben wurde, oder die Ferkelkastrier-Maschine, ein dunkelgrün lackiertes Gestänge, in das der Bauer das arme Schweinchen einspannte für den unschönen Eingriff.

Dann fallen uns die Holzklogs auf und wir fühlen uns wie schon zuvor durch die Windmühlen an die unmittelbare Nachbarschaft zu den Niederlanden erinnert. „Ja, ich bin noch in Holzschuhen zur Schule gegangen. Die waren sehr bequem“, erzählt Krings. „Gelegentlich haben wir die Schuhe auch anders eingesetzt. Sie ließen sich gut als Wurfgeschoss einsetzen, um Kastanien vom Baum zu holen. Da haben die Eltern natürlich geschimpft, denn die Schuhe waren dann oft kaputt“, sagt der 71-Jährige und grinst verschmitzt. Viele spannende Anekdoten und Details hat er zu erzählen und gerne hätten wir noch länger zugehört. Leider müssen wir die anschauliche Zeitreise mit ihm schon bald wieder beenden, denn wir haben ja noch eine längere Erkundungstour vor uns. Also schwingen wir uns wieder auf unsere Fahrräder und ziehen weiter.

Nach nur 2 Kilometern fahren wir durch das Dorf Millen. Ein eindrückliches architektonisches Ensemble präsentiert sich dort mit der romanische Kirche St. Nikolaus, deren ältesten Teile aus dem 10. Jahrhundert stammen, und den alten Gebäuden in unmittelbarer Nachbarschaft: die Propstei aus dem 12. Jahrhundert sowie die Zehntscheune aus derselben Zeit.

Von da aus ist es auch nicht mehr weit zu radeln bis zum westlichsten Punkt Deutschlands. Dieser gehört allerdings nicht zum Radwegenetz mit den Knotenpunkten, wir müssen also einen kleinen Schlenker einlegen. Dabei erwischen wir nicht gleich den richtigen Weg und so finden wir uns direkt in den Niederlanden wieder. Das merke ich am Signalton, den mein iPhone verlauten lässt, weil ein niederländisches Handynetz seinen Willkommensgruß sendet. Während es im Selfkant mit dem Handyempfang meistens nicht klappt, ist das in den Niederlanden kein Problem. Das ist praktisch, denn so können wir uns schnell orientieren. Nun kommen wir also von niederländischer Seite zum „Westpunt Duitsland“, wie er dort schließlich ausgeschildert ist. Und da uns dort auch noch das niederländische Netz treu bleibt, kann ich auch gleich ein Foto vom westlichsten Punkt posten. Denn der Besuch an diesem Ort soll doch auch verkündet werden.

© Foto: Meike Nordmeyer

Rastplatz mit Infotafeln am westlichsten Punkt Deutschlands, der zum „Erlebnisraum Westzipfel“ gestaltet wurde.

Der westlichste Punkt Deutschlands ist erst vor kurzer Zeit als ein Ausflugsziel vor allem für Fahrradtouren ansprechend architektonisch gestaltet worden und nennt sich jetzt „Erlebnisraum Westzipfel“. Zusätzlich zur dekorativen Metallwand mit dem Wort „West“ sind ein überdachter Rastplatz mit Sitzbänken aufgestellt worden und mehrere Infotafeln. Diese geben Auskunft über die Geschichte der Region und des Grenzverlaufs und natürlich auch über den Zipfelbund. Das ist schön und informativ gemacht und lädt dazu ein, einen Moment zu verweilen an diesem besonderen Ort, der sonst nur von Feldern und Landstraßen umgeben ist.

Vom Zipfelpunkt aus geht es für uns nun wieder weiter hinein in den Selfkant, die Museumswindmühle Breberen in Gangelt ist unser nächstes Ziel. Unterwegs erweist es sich mitunter, dass die Gegend im Selfkant doch nicht immer nur so flach ist wie gedacht. Wenn die Drei-Gang-Schaltung an den Fahrrädern nicht so richtig funktioniert und der Gegenwind pustet, kann es da schon mal beschwerlich werden. Aber das Gute ist: An der Mühle steht erstmal ein Kaffeetrinken an. Das können wir uns also mit dem Strampeln gut verdienen. Rund 13 Kilometer radeln wir dorthin. Schon von weitem bietet die Mühle einen imposanten Anblick.

© Foto: Meike Nordmeyer

Schöner Ausblick im Café an der Museumswindmühle in Gangelt Breberen.

Wir kehren also erstmal ein und machen es uns gemütlich. Andrea interessiert sich für den Milchreiskuchen und ich bestelle mir Stachelbeertorte mit Baiser und dazu Cappuccino. Der Blick auf die Mühle macht die Kaffeepause besonders schön. Am Samstag ist der Betriebstag für die Mühle und somit auch die Gelegenheit zur Besichtigung. Als wir dafür frisch gestärkt hinübergehen, treffen wir dort Rainer Bär und André Rom, zwei ehrenamtliche, fachkundige Mühlenwirte, die dieses schöne Bauwerk aus dem Jahr 1842 in ihrer Obhut haben. Die beiden Kenner freuen sich über jede Frage und erklären den Besuchern alles über die Bauart und Funktionsweise der Mühle. Gerne werfen sie dann auch das Mahlwerk an. Da knarzt und rattert es im Gebälk, laut schleifen die Mühlsteine aufeinander und zerkleinern schlürfend das Getreide. Andrea und ich stehen direkt daneben und sind schwer beeindruckt. Dann steigen wir die Leiter hinauf auf die höheren Böden. Immer entlang an den ratternden Gewinden und den großen Holzzahnrädern, die ineinandergreifen. Gut festhalten ist da angesagt, aber bloß nicht dort hinlangen, wo sich die schweren Holzteile bewegen und mit großen Kräften und Geräusch rotieren.

André Rom dirigiert mich auf einem der oberen Böden vorbei an Balken und Gestänge auf die Seite, auf der sich die Mühlen-Flügel drehen. Zuvor hat er die Luke dort geöffnet, so kann ich hinausschauen und sehen wie die glänzenden Flügel aus Aluminium vorbeiziehen – das ist schon etwas Besonderes. Doch das war noch nicht alles. Ob ich noch die nächste Leiter hinaufklettern möchte, dann könne ich aus dem Dach hinausschauen, fragt Rom lässig. Ich bin perplex, ob das wirklich ernst gemeint war? Doch Rom nickt mir aufmunternd zu. Er hält die etwas wackelige Leiter fest, ich klettere hinauf und schaue aus dem Dach der Mühle. Die Flügel ziehen langsam vorbei und machen ein knarzendes und zischendes Geräusch. Dahinter geht der Blick auf die flache Landschaft des Selfkants und auch auf moderne Windräder, die in der Nähe stehen. „Ist das irre!“, rufe ich laut in den Himmel. Als ich die Leiter langsam wieder hinabsteige, erwartet mich Andrea schon mit gespanntem Blick. Dann klettert sie hinauf.

Ein beeindruckendes Erlebnis: Blick aus der Luke auf dem Dach der Windmühle Breberen im Selfkant. 

© Foto: Meike Nordmeyer

 

 

© Foto: Meike Nordmeyer

Die Breberener Windmühle im Abendlicht.

Noch lange bleiben wir in der Mühle, denn die beiden Experten erzählen weiter von ihrem alten Schätzchen und der Arbeit daran. Zudem muss der Betrieb der Mühle nun ja wieder gestoppt werden. Alles muss sorgsam wieder in Position gebracht, eingerastet und gesichert werden, und die Luken sind zu schließen. Als wir schließlich aus der Mühle wieder hinaustreten, ist es schon dämmrig geworden. Die Abendsonne taucht das Bauwerk in stimmungsvolles Licht. Nun radeln wir wieder nach Gangelt zum Hotel zurück. Dort genießen wir ein ausgezeichnetes Abendessen und lassen den erlebnisreichen Tag ausklingen. Wohlig müde fallen wir in die Betten. Als ich die Augen schließe, stehe ich wieder auf der Leiter, schaue aus dem Dach der Mühle hinaus und die Flügel ziehen an mir vorbei – ein unvergessliches Erlebnis!

Am nächsten Vormittag haben wir noch einen weiteren Ortstermin. Wir fahren nach Schierwaldenrath zur Selfkantbahn. Es handelt sich dabei um die einzige erhaltene Schmalspurbahn in Nordrhein-Westfalen. An diesem Wochenende ist die historische Bahn leider nicht im Fahrbetrieb. Doch Günther Steinhauer empfängt uns trotzdem. Wir sitzen mit ihm im knallroten Triebwagen von 1941, der tags zuvor noch auf einer Sonderfahrt unterwegs war. Steinhauer erzählt uns von der Bahn und von seinem Verein, in dem er mit anderen Bahnfans ehrenamtlich die gesamte Anlage und alle Loks und Wagen pflegt und regelmäßig Touren organisiert. Die eigentliche Attraktion, die alten Dampfloks, stehen gerade in der Werkstatt und werden gewartet und gereinigt. Ehemals war die Strecke der Selfkantbahn 38 Kilometer lang, im Jahr 1900 wurde sie eröffnet. Heute ist die Museumsbahn immerhin noch auf einer Teilstrecke von 5,5 Kilometern unterwegs. Von März bis September gibt es regelmäßig Ausflugsfahrten. Beliebt sind auch die Nikolausfahrten Ende November und im Dezember. Eine Tour mit der alten Selfkantbahn ist auf jeden Fall eine tolle Unternehmung. Dafür wollen auch wir noch einmal zur passenden Zeit wiederkommen.

© Fotos: Meike Nordmeyer

Besuch bei der Selfkantbahn in Schierwaldenrath. Der schöne rote Triebwagen steht draußen auf dem Gleis, die alten Dampfloks zur Wartung in der Werkstatt. Dort beeindruckt auch das riesige Werkzeug, das an der Wand hängt. 

Bei dem strahlend blauen Himmel, der an diesem Sonntag herrscht, unternehmen wir nun noch einen Abstecher, um auch noch die Windmühle in der Gemeinde Waldfeucht anzuschauen. Diese ist ebenfalls ein besonders schmuckes Exemplar. Im Selfkant stehen insgesamt fünf historische, gut erhaltene und gepflegte Windmühlen. Damit gehört die Region zu den mühlendichtesten Regionen Deutschlands. Wie schön, dass mich der Zipfelpass zu einem Ausflug hierher gelockt hat!

© Foto: Meike Nordmeyer

Ein besonders schmuckes Exemplar: Die Windmühle in Waldfeucht im Selfkant.

Von Meike Nordmeyer,
Der Artikel ist erstmals erschienen auf dem Reiseblog meikemeilen.de. Dort gibt es viele weitere Reisegeschichten mit Kultur und Genuss zu lesen.

 

 

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